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Deep Dive #4: Warum Social Media krank machen kann

Deep Dive #4: Warum Social Media krank machen kann - ThinkParent

Die Auswirkungen von Social Media auf die psychische Gesundheit

Die Auswirkungen von Social Media auf die psychische Gesundheit sind ein viel diskutiertes Thema. Verschiedene Studien und wissenschaftliche Arbeiten haben sich mit den negativen Effekten von Social Media auf die psychische Gesundheit auseinandergesetzt und weisen darauf hin, dass übermäßiger oder unbedachter Gebrauch tatsächlich zu verschiedenen psychischen Problemen führen kann.


Soziale Vergleiche auf Social Media

Social Media Vergleich

Social Media-Plattformen wie Instagram, Facebook und TikTok ermöglichen es Nutzern, Einblicke in das Leben anderer Menschen zu erhalten. Diese Plattformen sind oft darauf ausgerichtet, die besten Momente eines Nutzers hervorzuheben—die „Highlight-Reels“ des Lebens. Dabei werden meist nur die positiven und spannenden Erlebnisse geteilt, während negative oder alltägliche Momente oft nicht gezeigt werden. Dies führt dazu, dass Nutzer ein verzerrtes und übermäßig positives Bild des Lebens anderer sehen. Der Vergleich mit diesen idealisierten Darstellungen kann das Selbstwertgefühl der Nutzer negativ beeinflussen. Wenn Menschen sehen, dass ihre Freunde oder andere Nutzer scheinbar erfolgreichere, glücklichere oder aufregendere Leben führen, neigen sie dazu, ihr eigenes Leben als unzureichend zu empfinden. Dieser Vergleich kann besonders schädlich sein, wenn Menschen dazu neigen, sich in Bereichen zu vergleichen, in denen sie sich unsicher oder weniger kompetent fühlen.


Psychologische Mechanismen

  • Selektive Wahrnehmung: Nutzer neigen dazu, sich auf die Erfolge und positiven Aspekte der Leben anderer zu konzentrieren und dabei die eigenen positiven Erfahrungen zu übersehen oder zu minimieren. Dies verstärkt den Eindruck, dass sie selbst nicht „gut genug“ sind.
  • Kognitive Verzerrungen: Menschen interpretieren die Informationen, die sie auf Social Media sehen, oft durch die Brille ihrer eigenen Unsicherheiten. Eine Person, die sich unsicher in Bezug auf ihr Aussehen fühlt, wird beispielsweise besonders empfindlich auf Bilder von Menschen reagieren, die als besonders attraktiv dargestellt werden.
  • Selbstwertbedrohung: Wenn Menschen sich ständig mit anderen vergleichen, die sie als überlegen wahrnehmen, kann dies zu einer Bedrohung ihres Selbstwertgefühls führen. Sie fühlen sich möglicherweise minderwertig und weniger wertvoll.

Eine Meta-Analyse von Appel, Gerlach und Crusius (2016) zeigt, dass soziale Vergleiche auf Social Media mit einer Verringerung des Selbstwertgefühls und einer erhöhten Depressivität in Verbindung gebracht werden. Nutzer, die dazu neigen, sich häufig auf Social Media mit anderen zu vergleichen, berichteten von einem signifikant geringeren Selbstwertgefühl. Das Gefühl, im Vergleich zu anderen weniger erfolgreich oder glücklich zu sein, unterminiert das eigene Selbstbewusstsein. Diese ständigen negativen Vergleiche sind auch mit einer erhöhten Depressivität verbunden. Menschen fühlen sich durch den ständigen Druck, mit den idealisierten Darstellungen anderer mitzuhalten, überfordert und entwickeln Gefühle von Hoffnungslosigkeit und Unzulänglichkeit.


FOMO auf Social Media?

FOMO auf Social Media

Fear of Missing Out (FOMO) ist die Angst, etwas Wichtiges oder Interessantes zu verpassen. Im Kontext von Social Media bezieht sich FOMO auf die ständige Sorge, nicht auf dem Laufenden zu sein über Ereignisse, Erlebnisse oder Aktivitäten, an denen andere Menschen teilnehmen. Diese Angst kann dazu führen, dass Nutzer das Bedürfnis verspüren, ständig auf Social Media aktiv zu sein, um sicherzustellen, dass sie nichts verpassen.

Social Media bietet eine Plattform, auf der Menschen fortlaufend Einblicke in das Leben ihrer Freunde, Familienmitglieder, Prominenten oder sogar Fremder erhalten können. Diese Einblicke sind oft kuratiert, um die besten, aufregendsten und beneidenswertesten Momente zu zeigen. Wenn Nutzer solche Beiträge sehen, könnten sie das Gefühl bekommen, dass sie im Vergleich weniger spannende oder wertvolle Erlebnisse haben.

Die Algorithmen von Social-Media-Plattformen sind darauf ausgelegt, Nutzer zu beschäftigen, indem sie ihnen kontinuierlich neue Inhalte präsentieren. Diese ständige Verfügbarkeit von Informationen und Updates verstärkt das Gefühl, dass es immer etwas Neues gibt, das man verpassen könnte. Dadurch entsteht ein Teufelskreis, bei dem die Nutzer immer wieder auf die Plattform zurückkehren, um sich zu vergewissern, dass sie nichts verpassen.


Psychologische Mechanismen hinter FOMO

  • Soziale Unsicherheit: Menschen, die sich unsicher über ihren sozialen Status oder ihre sozialen Beziehungen fühlen, sind anfälliger für FOMO. Sie könnten glauben, dass sie durch das Verpassen von Ereignissen oder Informationen sozial isoliert werden könnten.
  • Bedürfnis nach Zugehörigkeit: Das menschliche Bedürfnis, sich verbunden und zugehörig zu fühlen, kann FOMO verstärken. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass andere ohne sie Spaß haben oder besondere Momente erleben, kann dies ein Gefühl der Ausgeschlossenheit oder Isolation hervorrufen.
  • Kognitive Verzerrungen: Menschen mit FOMO neigen dazu, die Bedeutung der Ereignisse, die sie verpassen, zu überschätzen und zu glauben, dass das Verpassen dieser Ereignisse größere Konsequenzen für ihr soziales Leben hat, als es tatsächlich der Fall ist.

Die Studie von Przybylski et al. (2013) untersuchte, wie FOMO und die Nutzung von Social Media miteinander verknüpft sind. Die Forscher fanden heraus, dass Personen mit hohem FOMO-Niveau Social Media häufiger und intensiver nutzten als Personen mit niedrigem FOMO-Niveau. Sie fühlten sich gezwungen, ständig auf dem Laufenden zu bleiben und regelmäßig ihre Social-Media-Feeds zu überprüfen. Diese exzessive Nutzung von Social Media führte zu einer erhöhten sozialen und emotionalen Belastung. Personen mit hohem FOMO-Niveau berichteten von erhöhten Gefühlen von Stress, Angst und Frustration. Die Forscher stellten fest, dass die ständige Sorge, etwas zu verpassen, die emotionale Gesundheit der Nutzer beeinträchtigen kann.


Süchtig nach Social Media?

Sucht nach Social Media

Das zwanghafte und übermäßige Bedürfnis, soziale Medien zu nutzen, obwohl dies negative Auswirkungen auf das Leben und das Wohlbefinden einer Person haben, ähnelt anderen Formen der Sucht, wie z.B. Drogen- oder Spielsucht, bei denen das Belohnungssystem des Gehirns durch bestimmte Reize aktiviert wird, was zu einer Abhängigkeit führen kann.

Social-Media-Plattformen verwenden ein System der intermittierenden Verstärkung, bei dem Belohnungen (wie Likes, Kommentare oder Benachrichtigungen) unvorhersehbar und in unregelmäßigen Abständen gegeben werden. Dies führt dazu, dass Nutzer immer wieder zurückkehren, um diese Belohnungen zu erhalten, ähnlich wie beim Glücksspiel. Das Empfangen von positiven Rückmeldungen auf Social Media, wie Likes oder positiven Kommentaren, führt zur Freisetzung von Dopamin im Gehirn. Dopamin ist ein Neurotransmitter, der mit Lust und Belohnung in Verbindung steht und eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Suchterkrankungen spielt. Durch die ständige Dopaminfreisetzung wird das Belohnungssystem des Gehirns aktiviert, was das Verlangen nach weiteren sozialen Interaktionen verstärken kann.

Die ständige Verfügbarkeit von Social Media auf mobilen Geräten bedeutet, dass Nutzer jederzeit und überall auf ihre sozialen Netzwerke zugreifen können. Diese allgegenwärtige Erreichbarkeit kann die Sucht fördern, da es keine natürlichen Grenzen gibt, wann und wo die Nutzung enden sollte.


Cybermobbing?

Cybermobbing

Cybermobbing bezieht sich auf das absichtliche und wiederholte Schikanieren, Belästigen oder Erniedrigen einer Person durch die Nutzung digitaler Technologien wie Social Media, Messaging-Apps, Foren oder andere Online-Plattformen. Es kann in vielen Formen auftreten, darunter Beleidigungen, Bedrohungen, Verleumdungen, das Verbreiten von Gerüchten oder das Teilen privater Informationen ohne Zustimmung.

Die Studie von Kowalski et al. (2014) untersuchte die Auswirkungen von Cybermobbing auf die psychische Gesundheit und stellte fest, dass es eine starke Korrelation zwischen Cybermobbing und erhöhten Symptomen von Angst, Depression und geringem Selbstwertgefühl gibt. Die Forscher stellten fest, dass Jugendliche, die Opfer von Cybermobbing wurden, ein höheres Risiko für ernsthafte psychische Gesundheitsprobleme hatten als ihre nicht betroffenen Altersgenossen.


Die Beziehung zwischen Social Media und Schlaf

Social Media und Schlaf

Die Nutzung von Social Media, insbesondere kurz vor dem Schlafengehen, kann die Schlafqualität und -quantität erheblich beeinträchtigen. Dies liegt an mehreren Faktoren, die sowohl physiologische als auch psychologische Mechanismen umfassen. Bildschirme von Smartphones, Tablets, Computern und anderen elektronischen Geräten strahlen Blaulicht aus. Dieses Licht hat eine hohe Energie und eine kurze Wellenlänge, die die Produktion von Melatonin, einem Hormon, das den Schlaf-Wach-Rhythmus reguliert, hemmen kann. Das Starren auf Bildschirme und die Interaktion mit Social Media kurz vor dem Schlafengehen kann das Gehirn stimulieren und aktivieren, wodurch es schwieriger wird, in einen entspannten Zustand zu kommen, der für den Schlaf notwendig ist. Das Gehirn bleibt durch die ständige Reizüberflutung und die Notwendigkeit, auf Inhalte zu reagieren, wachsam und aktiv, was den Übergang in den Schlaf erschwert.

Social Media kann starke emotionale Reaktionen hervorrufen. Das Lesen von Nachrichten, das Betrachten von Bildern oder das Interagieren mit anderen Nutzern kann zu Stress, Angst, Eifersucht oder anderen intensiven Gefühlen führen. Diese emotionale Erregung kann das Einschlafen erschweren und die Schlafqualität beeinträchtigen.

Die Studie von Levenson, Shensa, Sidani, Colditz und Primack (2016) untersuchte die Zusammenhänge zwischen der Social-Media-Nutzung und Schlafstörungen bei jungen Erwachsenen. Die Ergebnisse zeigten, dass eine intensive Nutzung von Social Media mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für Schlafstörungen verbunden ist. Teilnehmer, die Social Media intensiv nutzten, berichteten von schlechterem Schlaf, häufigem Aufwachen während der Nacht und einem gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus. Besonders problematisch war die Nutzung von Social Media in der Stunde vor dem Schlafengehen, die mit einer signifikanten Verschlechterung der Schlafqualität in Verbindung gebracht wurde.


Was können wir als Eltern unternehmen?

Eltern unterstützen

Angesichts der umfangreichen Forschung, die die negativen Auswirkungen der Social-Media-Nutzung auf die psychische Gesundheit und den Schlaf junger Menschen belegt, spielen Eltern eine wichtige Rolle dabei, ihre Kinder zu schützen und ihnen einen gesunden Umgang mit Social Media beizubringen. Eine offene Kommunikation, das Setzen von Bildschirmzeitregeln und das Vorleben gesunder Gewohnheiten können helfen, die Balance zu halten.

Eltern sollten eine offene Kommunikation mit ihren Kindern über deren Erfahrungen auf Social Media fördern. Wenn Kinder sich sicher fühlen, über negative Erlebnisse wie Cybermobbing zu sprechen, können Eltern schneller eingreifen und Unterstützung bieten.

Anstatt Social Media strikt zu verbieten, sollten Eltern eine gesunde Nutzung fördern und erklären, warum bestimmte Regeln und Grenzen notwendig sind. Dies kann das Verständnis und die Bereitschaft der Kinder erhöhen, sich an diese Regeln zu halten.

Es ist wichtig, das Selbstwertgefühl der Kinder zu stärken, indem man sie ermutigt, ihre eigenen Fähigkeiten und Erfolge zu schätzen. Ein starkes Selbstwertgefühl kann dazu beitragen, dass Kinder weniger anfällig für negative Vergleiche auf Social Media sind.

Grenzen setzen und Regeln festlegen: Eltern sollten klare Regeln für die Bildschirmzeit festlegen, insbesondere vor dem Schlafengehen. Die Nutzung von Social Media und elektronischen Geräten sollte mindestens eine Stunde vor dem Schlafengehen vermieden werden, um die Schlafqualität zu verbessern.

Vorbildfunktion der Eltern: Eltern sollten ihre eigenen Social-Media-Gewohnheiten reflektieren und sicherstellen, dass sie ein gutes Vorbild sind. Kinder lernen oft durch Beobachtung, daher ist es wichtig, dass Eltern einen gesunden Umgang mit digitalen Medien vorleben.


Quellen:

  1. Appel, H., Gerlach, A. L., & Crusius, J. (2016). The interplay between social comparison orientation and social media use. Personality and Individual Differences, 98, 65-71.
  2. Kowalski, R. M., Giumetti, G. W., Schroeder, A. N., & Lattanner, M. R. (2014). Bullying in the digital age: A critical review and meta-analysis of cyberbullying research among youth. Psychological Bulletin, 140(4), 1073.
  3. Przybylski, A. K., Murayama, K., DeHaan, C. R., & Gladwell, V. (2013). Motivational, emotional, and behavioral correlates of fear of missing out. Computers in Human Behavior, 29(4), 1841-1848.
  4. Levenson, J. C., Shensa, A., Sidani, J. E., Colditz, J. B., & Primack, B. A. (2016). The association between social media use and sleep disturbance among young adults. Preventive Medicine, 85, 36-41.
  5. Andreassen, C. S., Pallesen, S., & Griffiths, M. D. (2017). The relationship between addictive use of social media, narcissism, and self-esteem: Findings from a large national survey. Addictive Behaviors, 64, 287-293.

Autor/-in

Psychologie - Master of Science (M.Sc.)

GÜLSAH GETIREN

Sie ist als Psychologische Gutachterin und Beraterin tätig. Erfahrungen sammelte sie unter anderem im Rahmen ihrer klinischen Tätigkeit in einem Eltern-Vorsorgezentrum und in ihrer Position als Gutachterin für verhaltensauffällige Jugendliche sowie Berufspsychologin.

Autor/-in

Psychologie - Master of Science (M.Sc.)

GÜLSAH GETIREN

Sie ist als Psychologische Gutachterin und Beraterin tätig. Erfahrungen sammelte sie unter anderem im Rahmen ihrer klinischen Tätigkeit in einem Eltern-Vorsorgezentrum und in ihrer Position als Gutachterin für verhaltensauffällige Jugendliche sowie Berufspsychologin.